«In einem digitalen, technologiebasierten Umfeld ist unsere Kultur die Grundlage für Erfolg.»
Der Schweizer Online-Marktführer Digitec Galaxus konnte sich trotz aller Veränderungen des Unternehmens seine kulturelle Eigenständigkeit bewahren. CEO Florian Teuteberg erklärt das Erfolgsrezept.
Als Quereinsteiger, unbelastet von jeglicher Branchenkompetenz, und primär getrieben von ihren eigenen Ansprüchen, die sie als Gamer an die Anbieter von Gaming-PCs und Komponenten hatten, gründeten drei Freunde im Jahr 2000 das Unternehmen, das heute in der Schweiz als Online-Marktführer gilt – obwohl zwischenzeitlich elf Filialen dazugehören. Digitec Galaxus ist die Schweizer Version der grossen unternehmerischen Pionierleistungen, die das Internet hervorgebracht hat. Im Studienpanel zum E-Commerce Report Schweiz war digitec schon 2009 dabei, damals noch mit rund 150 Beschäftigten. Zwischenzeitlich sind es achtmal so viele, 2019 wurde beim Umsatz die Milliardengrenze geknackt.
Trotz des Wachstums, trotz der Diversifikation mit Galaxus, der Wandlung des Geschäftsmodells und trotz Übernahme durch die Migros konnte sich Digitec Galaxus seine kulturelle Eigenständigkeit bewahren. Das war der Grund für einige spezielle Fragen an CEO Florian Teuteberg.
Das Interview ist Teil des 8. Kapitels des diesjährigen Commerce Reports Schweiz. Es beleuchtet wie die Studienteilnehmer sich in der vernetzten Angebotswelt behaupten wollen. Die Studie 2020 und alle früheren Ausgaben können Sie hier kostenlos herunterladen.
Die Digitec-Galaxus-Kultur
Herr Teuteberg, immer wieder bringt Ihr Team neue und oft auch ungewöhnliche Produkte, Services und Versuchsballons aller Art auf den Markt. Auch als Milliardenunternehmen scheint Digitec Galaxus eine äusserst agile Organisation zu sein. Wie schaffen Sie das?
Florian Teuteberg: Der Kern ist, dass wir tatsächlich so sind. Als Gründer haben wir nicht eine künstliche Kultur angenommen. Wir haben immer so gehandelt, immer viel Verantwortung abgegeben, viel Wert auf starke Leute gelegt und denen auch viel Eigenverantwortung gegeben. Gerade beim Thema Eigenverantwortung, das merke ich je länger je mehr, unterscheiden wir uns wahnsinnig von anderen Unternehmen.
Für ein Startup kann man sich das vorstellen, aber zwischenzeitlich sind Sie weit über tausend Leute.
Florian Teuteberg: Wir haben das gar nicht so explizit entwickelt. Unsere Kultur muss im Kern von uns Gründern ausgegangen sein und sich auf weitere Leute übertragen haben. Man sucht ja auch Menschen mit einer ähnlichen Arbeitsweise, die man nicht die ganze Zeit antreiben muss, sondern die eine gewisse intrinsische Motivation für etwas haben und der nachgehen.
Lässt sich das über mehrere Führungsstufen übertragen?
Florian Teuteberg: Diese Fortpflanzung funktioniert erstaunlich gut, sie multipliziert sich über alle Stufen. Manchmal bin ich selbst darüber erstaunt und bin happy, wenn ich in unserer Niederlassung in Hamburg feststelle, dass sie dort Leute eingestellt haben, die ich auch eingestellt hätte. Wir haben einen Fokus auf Kultur und Werteorientierung. Der entscheidende Moment ist die Rekrutierung, da passiert 90 % davon. Eine Kultur nachträglich gerade zu ziehen, das funktioniert nicht.
Und bei Ihnen funktioniert das einfach so?
Florian Teuteberg: Wir haben schon versucht, unsere Werte zu verschriftlichen, man kann sie auf unserer Website nachlesen. Das ist schon recht durchdacht. Wir haben auch noch Führungsprinzipien daraus abgeleitet. Aber entscheidend ist, was tatsächlich passiert, was gelebt wird.
Und wenn sich herausstellt, dass es doch nicht passt?
Florian Teuteberg: Dann trennt man sich wieder. Das System ist auch selbstregulierend. Leute, die nicht zu uns passen, fallen automatisch wieder raus. Das sind gerade solche, die einen hohen Kontrollanspruch haben. Leute, die versuchen, die Dinge im Griff zu haben, für die alles sehr klar sein muss, die gehen bei uns zugrunde, die verzweifeln. Bei uns muss man sich selbst Sinn schaffen, seine Rolle definieren, überlegen, was mein Beitrag zum Ganzen ist, und das auch immer wieder hinterfragen – das können manche einfach nicht.
Die Blogbeiträge
Dass viele Leute ihren eigenen Kopf haben, merkt man auch an den originellen und manchmal auch polarisierenden Blogbeiträgen, die regelmässig im Newsletter und auf den Websites erscheinen. Die Meinungen, die da vertreten werden, können kaum eine Firmendoktrin sein.
Florian Teuteberg: Genau das ist der Punkt, dass die Autoren relativ frei sind und eigenverantwortlich handeln können. Entscheidend ist, dass die Redaktion kommerziell unabhängig ist, was für ein Handelsunternehmen, das abhängig ist von Produktverkäufen, sehr einzigartig und mutig ist. Es ist völlig egal, ob oder welches Produkt in den Texten vorkommt oder nicht. Wir messen die Qualität der Beiträge an der Attraktivität für die Leser. Uns ist wichtig, dass sie für unser Publikum interessant sind.
Damit sind Sie an der Schwelle zu einem Lifestyle-Magazin oder Blog. Bei «Tod durch SMS», einer scharfen Kritik an Massentierhaltung, ist der Bezug zum Unternehmen schwer zu erkennen.
Florian Teuteberg: Das war schon ein ungewöhnlicher und sehr persönlicher Beitrag. Aber grundsätzlich akzeptieren wir subjektive Meinungen. Es gab mal einen Artikel «Warum ich ein Apple-Hasser bin», das ist nicht überall gut angekommen. Die subjektiven Perspektiven sind das, was es ausmacht. Unsere Beiträge leben von den Menschen und ihren Meinungen. Wir wollen nicht einfach nur Informationen vermitteln, wir wollen über Geschichten und Persönlichkeiten bei unserem Publikum ankommen.
Digitec Galaxus und die Migros
Vor fünf Jahren übernahm die Migros die Aktienmehrheit an Digitec Galaxus und würde sich vielleicht gern eine Scheibe von Ihrer Dynamik abschneiden. Wie lässt sich Ihre Organisationskompetenz auf ein traditionelles Unternehmen wie die Migros übertragen?
Florian Teuteberg: Kurze Antwort: Das ist nicht leicht. Die Dynamik kommt im Wesentlichen vom Mindset der Menschen, in Kombination mit Tools und Methoden. Das kann man nicht einfach in eine andere Organisation übertragen. Ich sehe aber schon Chancen, indem kleine Einheiten geschaffen werden, wo die neuen Arbeitsweisen erprobt und etabliert werden. Dies kann dann auf weitere Teile der Organisation ausstrahlen.
Wird die Kultur des dynamischen Onlineplayers auch dann noch überlegen sein, wenn die Investitions- und Aufbauphase weitgehend abgeschlossen sind und Effizienz in den Vordergrund rückt?
Florian Teuteberg: Ja, auf jeden Fall. Wachstum so isoliert gibt es sowieso nicht, man muss immer eine Balance finden zwischen Wachstum und Effizienz. In einem digitalen, technologiebasierten Umfeld ist unsere Kultur in beiden Phasen die Grundlage für Erfolg.
Häufig besteht ein Konflikt zwischen den Investitionsmittelbereitstellenden, älteren Organisationsteilen und den Investitionsmittel-verzehrenden, neuen. Wie kann man diesen Konflikt am besten auflösen oder umgehen?
Florian Teuteberg: Durch eine betriebswirtschaftliche Führung der neuen Geschäftseinheiten. Nicht nur aus strategischen Überlegungen sinnlos Geld reinbuttern, sondern auch eine Vorstellung haben, wie ein Unternehmen erfolgreich werden kann. Auch in einem neuen Modell muss man sich Wettbewerbsfähigkeit aufbauen. Es muss darum gehen, den Wert des Unternehmens zu steigern. Bei E-Commerce-Unternehmen richten sich die Erwartungen primär auf Wachstum, weniger auf Dividende. Wenn man nur schon eine Perspektive auf ein erfolgreiches, wachsendes Geschäftsmodell hat mit Potenzial, Gewinn zu machen, dann wird das ja meistens schon relativ gut bewertet. So ähnlich sollte auch ein traditioneller Konzern seine E-Commerce-Unternehmen behandeln.